Tempolimits
Eine Stellungnahme zum Thema Tempolimit haben das Präsidium und der Vorstand der Landesverkehrswacht im Februar 2023 verabschiedet. Die vom Arbeitskreis Politik ausgearbeitete Stellungnahme umfasst das Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen und geht auf Höchstgeschwindigkeiten auf Landstraßen und innerorts ein. Damit werden die politischen Forderungen aus den Jahren 2010 (Autobahn) und 2017 (Landstraßen) umfassender bekräftigt.
Folgende Forderungen werden gestellt:
- Die Landesverkehrswacht NRW plädiert für die Einführung eines bundesweiten Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen.
- Die Landesverkehrswacht NRW plädiert für die Einführung einer bundesweiten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h auf Landstraßen, mit der Option 100 km/h bei besonders gutem Ausbaustandard.
- Die Landesverkehrswacht NRW plädiert – wie viele Kommunen – für das Recht der Kommunen, Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts dort anzuordnen, wo sie es für notwendig halten.
Stellungnahme: Tempolimits aus Sicht der Verkehrssicherheit
Die grundsätzlichen Gegebenheiten sind eindeutig und unumstritten:
- Je höher die Geschwindigkeit bzw. Geschwindigkeitsdifferenzen, desto gravierender sind die Auswirkungen bei einem Unfall. Jede kleine Änderung der Geschwindigkeit hat überproportionale Auswirkungen auf die Unfallfolgen.
- Je höher die Geschwindigkeit, umso weniger Zeit bleibt für die Korrektur von möglichen Fehlern (eigenen und denen anderer Verkehrsteilnehmer), und umso weiter bewegt sich ein Fahrzeug noch in der Reaktionszeit. Fehler kommen im Straßenverkehr häufig vor. Ein so komplexes System wie der Straßenverkehr kann aber nur funktionieren, wenn genügend Zeit für die Kompensation von Fehlern bleibt.
- Je höher die gefahrenen Geschwindigkeiten sind, umso wahrscheinlicher werden Konflikte und Störungen des Systems und in der Folge Unfälle.
Aber nicht jede Fahrt in einer hohen Geschwindigkeit führt (automatisch) zu einer zusätzlichen Gefährdung oder einem Unfall. Je nach Straßenverhältnissen, Wetterbedingungen oder Kompetenzen der Fahrer kann das Risiko deutlich variieren. Da letztendlich nicht jede Situation richtig eingeschätzt wird, führen diese individuellen kleinen Risiken im Endeffekt zu mehr Unfällen, Schwerverletzten und Getöteten. Insoweit ist es nicht verwunderlich, dass alle Studien belegen, dass ein Tempolimit die Zahl der Verunglückten reduziert und somit eine starke Schutzfunktion ausübt.
Die Begrenzung der Geschwindigkeit ist eine zentrale Maßnahme, um dem Ziel der Vision Zero näher zu kommen. Im Gegensatz zu anderen Maßnahmen ist diese noch relativ einfach durch den Staat zu beeinflussen. Nimmt man den Auftrag der Vision Zero ernst, so sind Geschwindigkeitsbegrenzungen eine „niedrig hängende Frucht“, die umgehend geerntet werden sollte. Dies steht keinesfalls im Widerspruch zu vielfältigen anderen Maßnahmen, die zur Erhöhung der Verkehrssicherheit ergriffen werden sollten.
Selbstverständlich bedarf es auch der konsequenten Durchführung von Kontrollen, damit die Regeln eingehalten werden. Dabei wäre es begrüßenswert, wenn sich diese sachgerecht eher an der Gefährdungslage als an den Einnahmeerwartungen orientieren würden.
Im Detail unterscheiden sich die jeweiligen Tempolimits auf Autobahnen, Landstraßen und innerorts.
Autobahnen – Tempolimit 130
Es überrascht, dass in Deutschland vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus fast allen Ländern weltweit das Tempolimit auf Autobahnen noch immer diskutiert wird.
Bei einer vollständigen Umsetzung des Tempolimits von 130 km/h ist laut einer Datenanalyse des SPIEGEL (2019) mit 80 bis 140 weniger Toten jedes Jahr zu rechnen.
Zudem gibt es weitere Effekte, die sich ihrerseits wieder auf die Verkehrssicherheit auswirken:
- Tempolimits führen zur Veränderung der Durchschnittsgeschwindigkeiten durch Verringerung besonders hoher Fahrgeschwindigkeiten (Kappung der Spitzen). Sie betreffen damit nur den kleineren Teil der Fahrerpopulation (weniger als 1/3), der besonders schnell fahren möchte.
- Die individuellen Zeitverluste, die ja nur die relativ wenigen Personen betreffen, die deutlich über 130 km/h fahren, halten sich in Grenzen. Sie werden wettgemacht durch einen flüssigeren Verkehr, durch weniger Konflikte, Staus und Unfälle. Davon profitieren alle Menschen, die auf Autobahnen unterwegs sind.
- Das Verkehrssystem wird durch Tempolimits widerstandsfähiger. Fahrfehler werden seltener und sie wirken sich nicht so schnell aus bzw. sind korrigierbar.
- Tempolimits sind eine eindeutige Botschaft, Geschwindigkeit als Gefährdungsfaktor anzusehen und wirken über das Limit hinaus auch auf den Bereich nicht angepasste Geschwindigkeit.
Zu erwarten ist, dass die Homogenisierung des Verkehrs und die geringere Durchschnittsgeschwindigkeit bei der Umsetzung autonomen Fahrens helfen werden, wenn sie nicht sogar eine Bedingung dafür sind.
Zudem wirkt sich ein Tempolimit zu Gunsten schwächerer Teilnehmergruppen im Verkehr aus. Nicht so erfahrene junge Fahrer beispielsweise erhalten ein eindeutiges Signal, Geschwindigkeit generell als Gefahrenpotenzial zu sehen, und der steigenden Anzahl der älteren Menschen wird es etwas leichter gemacht, weiterhin die individuelle Mobilität aufrecht zu erhalten.
Das im Ausland übliche Tempolimit von (meist) 130 km/h wird inzwischen von der Mehrzahl der Menschen in Deutschland akzeptiert. Deshalb besteht auch eine große Chance, dass dieses Tempolimit auch in unserem Land eingehalten würde – was natürlich nicht bedeutet, dass auf Kontrollen verzichtet werden kann.
Deshalb plädieren wir für die Einführung eines bundesweiten Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen.
Landstraßen – Tempolimit 80 km/h
Das Risiko, einen schweren Verkehrsunfall zu erleiden, ist in Deutschland auf keiner Straßenart so hoch wie auf Landstraßen. Besonders auf Landstraßen beeinflussen höhere Fahrgeschwindigkeiten ganz erheblich die Unfallfolgen. Denn dort existieren in der Regel keine fehlerverzeihenden Seitenräume, wie diese auf Autobahnen zum Standard zählen. Stattdessen führen Bäume und andere Hindernisse sowie fehlende Schutzplanken oft zu katastrophalen Folgen bei einem Unfall.
Bezogen auf das Unfallgeschehen hat ein Tempolimit auf Landstraßen die größten positiven Auswirkungen, addieren sich doch bei Unfällen mit entgegenkommendem Verkehr beim Aufprall die Geschwindigkeiten.
Fahrtzeiten werden vermutlich geringfügig länger. Faktisch ist aber auch hier mit Homogenisierungsvorteilen zu rechnen. Hier gilt eine ähnliche Argumentation wie oben zu Autobahnen: Eine konstante und gleichmäßige Geschwindigkeit minimiert die Zeitverluste und führt zu höherer Resilienz des Verkehrssystems und zu mehr Sicherheit.
Im Bereich der Landstraßen empfiehlt sich eine Regelumkehr, sodass grundsätzlich statt 100 km/h das Tempolimit 80 km/h gelten soll, wobei ein ständiger Geschwindigkeitswechsel vermieden werden sollte. Entsprechend ausgebaute oder ertüchtigte Straßen können weiter für Tempo 100 freigegeben werden. Hier könnte man sich an den Entwurfsklassen der „Richtlinie zur Anlage von Landstraßen (RAL)“ orientieren.
Problematisch bleibt der Umgang mit Lkw über 7,5 Tonnen, die zurzeit auf Landstraßen nur maximal 60 km/h fahren dürfen. In Summe wird dies aber, wie zum Beispiel die Änderung des Tempolimits in Frankreich zeigte (349 Tote weniger auf Landstraßen in 20 Monaten nach der Senkung von 90 km/h auf 80 km/h), die positiven Sicherheitswirkungen von Tempo 80 auf Landstraßen nicht beeinträchtigen. An problematischen Stellen, insbesondere bei unzureichenden Überholsichtweiten, sind Überholverbote und entsprechende Überwachungen vorzusehen. Um die Gefahren beim Überholen auf Landstraßen zu senken, empfehlen sich bauliche Investitionen in 2+1-Querschnitte (wechselseitig angeordnete Überholfahrstreifen).
Deshalb plädieren wir für die Einführung einer bundesweiten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h auf Landstraßen, mit der Option 100 km/h bei besonders gutem Ausbaustandard.
Innerorts - Tempolimit 30 km/h
Auch innerorts gilt, dass ein Tempolimit Unfälle vermeiden und Unfallfolgen reduzieren kann. So hat beispielsweise ein erwachsener Fußgänger ein unter 10-prozentiges Todesrisiko, wenn er durch einen Pkw mit 30 km/h angefahren wird. Bei 50 km/h beträgt das Risiko, tödlich verletzt zu werden, bereits 40 Prozent.
Deshalb ist ein Tempolimit von 30 km/h an Schulen, Kindergärten und in Wohngebieten heute Standard und nur selten umstritten.
Ebenso dürfte für die meisten Befürworter eines Tempo 30 in Städten gelten, dass nicht jede doppelspurige Hauptstraße mit eigenem Radstreifen auf Tempo 30 reduziert werden sollte.
Für alle anderen Straßen ist die jeweilige Tempobegrenzung sorgfältig abzuwägen, um sie verkehrssicherer zu machen, ohne die Flüssigkeit des Individualverkehrs und des ÖPNVs unnötig einzuschränken. Dabei sind auch die Auswirkungen auf Ein- und Ausfallstraßen ebenso zu berücksichtigen wie das an bestimmten Unfallsgefahrenstellen andere Maßnahmen aus Sicht der Verkehrssicherheit wirksamer sind (z.B. an Ein- und Ausfahrten).
Der notwendige Abwägungsprozess setzt detaillierte Kenntnisse der lokalen und regionalen Gegebenheiten voraus. Er ist deshalb am besten durch die Kommunen selbst durchzuführen.
Deshalb plädieren wir – wie viele Kommunen – für das Recht der Kommunen, Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts dort anzuordnen, wo sie es für notwendig halten.
Zudem sollten wichtige Einzelaspekte im Zusammenhang mit dieser Neuregelung vertieft untersuchen werden, um ggf. bei den Regelungen bzw. deren Anwendung nachsteuern zu können.
Düsseldorf, 28.02.2023